Lintorf. Die Journalistin Angelica Netz liest aus ihrem historischen Roman „Schuld ohne Sühne“ im Sitzungssaal des alten Lintorfer Rathauses. Das Publikum lauscht gespannt den vorgelesen Ausschnitten. Am Ende ist es von dem Gehörten bedrückt. Der Roman behandelt ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.
Für den Verein Lintorfer Heimatfreunde begrüßte Andreas Preuß gemeinsam mit Michael Lumer, Vorsitzender des Ratinger Heimatvereins, rund 30 Zuhörer am Dienstagabend zur Lesung mit Angelica Netz. Die Journalistin las aus ihrem Roman „Schuld ohne Sühne“, der auch in Lintorf und Ratingen spielt. Durch den Abend führte als Moderatorin Anneliese Fritz-Strathmann.
„Es ist kein Krimi im klassischen Sinne“, sagte Fritz-Strathmann. Das Buch sei eher eine historische Rekonstruktion. Akribisch folgt Netz in ihrem Roman den Protokollen, die sie zu dem Mord in der Nähe Andernachs im Archiv einsehen konnte. „Doch das Ende ist Fiktion“, sagte Netz am Ende der Lesung. Das las sie natürlich nicht vor.
Als der frischgebackene Kommissar Rudolf Wafzig 1964 den Dienst beim LKA Koblenz antritt, erscheint es ihm zunächst wie ein Art Strafarbeit, als man ihm mehrere Akten aus der französischen Besatzungszeit vorlegt, die er sichten soll, um die Fälle vielleicht doch noch aufzuklären.
Doch dann stößt er auf einen Fall, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen wird: „Überfall auf das Burgerhaus bei Andernach am 1. April 1946, neun Tote, keine erhärtbaren Spuren, Einstellung der Ermittlungen 1956!“ Mehrere Familienmitglieder sowie Gäste des Burgerhauses wurden von den Tätern regelrecht hingerichtet.
Zwei der Täter verbringen später auch Zeit in Ratingen und im Lager an der Rehhecke in Lintorf. Angelica Netz schildert die Situation eindrücklich. Die Baracken des Lagers sind Anfang der 1950er in einem schrecklichen Zustand. Die Bewohner leben dort unter unwürdigen Verhältnissen. Manch einer „verdient“ sich seinen Lebensunterhalt auf kriminelle Art und Weise.
Wafzig will die Tat aufklären und die Schuldigen finden. Er macht sich auf die Suche nach dem Motiv, vernimmt noch einmal Hinterbliebene und Zeugen und studiert wieder und wieder die alten Akten. Schon bald ist klar, die grausamen Mörder waren sogenannte Displaced Persons, ehemalige Zwangsarbeiter, die nach ihrer Befreiung aus den Lagern raubend und mordend durch Nachkriegsdeutschland zogen. Einer von ihnen ist der Wolgadeutsche Wladimir, dessen Lebensweg ihn auch nach Ratingen und ins DP-Lager Lintorf führte, von wo aus er hoffte, in die USA emigrieren zu können.
Die Geschichte Wladimirs und die Ermittlungen zu dem realen, historischen Kriminalfall, der erst in den 90er Jahren endgültig eingestellt wurde, schildert mit all seinen erschütternden Details der aufwühlende Roman von Angelica Netz.
Die Autorin hat lange Jahre als Journalistin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet und war in vielen Ländern dieser Welt unterwegs. Sie war Programmchefin WDR 2 und zuletzt Chefredakteurin des WDR Hörfunks. Als sie in den Unterlagen ihres verstorbenen Vaters die Todesanzeige der Familie des Burgerhauses fand, war ihre Neugierde geweckt und sie begann zu recherchieren. Bei den Recherchen zur Nachkriegszeit in Ratingen und zum Lager Lintorf stützte sie sich unter anderem auf Gespräche mit Michael Lumer und Ruth Braun sowie auf die umfangreiche Diplomarbeit zum Lager Lintorf von Ruth Braun.
Das Buch ist erschienen im KBV Verlags- und Mediengesellschaft mbH. Im Buchhandel ist es für 13 Euro erhältlich.
ISBN 978-3-95441-681-3


