
Essen. Zum Ende einer Spielzeit, die in weiten Teilen vom Lockdown geprägt war, haben Intendant Christian Tombeil, seine Stellvertreterin und Chefdramaturgin Vera Ring, Dramaturgin Carola Hannusch sowie Dramaturgin Judith Heese im Café Central im Grillo-Theater die Pläne für die kommende Spielzeit 2021/2022 am Schauspiel Essen vorgestellt.
„’Alles bleibt anders‘, soviel lässt sich wohl gerade sagen angesichts der pandemiebedingten Unwägbarkeiten, die uns in der kommenden Theatersaison einen Spielplan aus bereits geplanten, teilweise kurz geprobten oder gar vorstellungsreif in der Warteschleife auf ihre Premiere hoffenden Inszenierungen, aber auch neue Produktionen bescheren werden“, so Intendant Christian Tombeil in seinem Vorwort zur jetzt erschienenen ersten Ausgabe des neuen Spielzeitheftes, das die ersten Premieren der neuen Spielzeit bis Ende September vorstellt und einen Ausblick bietet auf die Planungen des Schauspiel Essen bis Juli 2022. Es wird im Laufe der Saison zwei weitere Ausgaben des Spielzeitheftes geben, um auch in den gedruckten Broschüren auf die Pandemielage aktuell reagieren zu können.
Die Planungen des Spielzeitprogramms sind geprägt von den Erfahrungen des vergangenen Jahres. „Wir wollen unter verschiedenen möglichen Szenarien weitestgehend flexibel bleiben und sind voller Hoffnung und Zuversicht, unserem Publikum ab September wieder Inszenierungen live zeigen zu können“, so der Essener Schauspielchef. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erwarten elf Premieren, inklusive einer Uraufführung.
Der Premierenreigen im Grillo-Theater wird mit gleich zwei Inszenierungen von Hermann Schmidt-Rahmer eröffnet, der am Schauspiel Essen u. a. mit der deutschen Erstaufführung von „Die Hauptstadt“ nach Robert Menasses gleichnamigen Roman in der Spielzeit 2018/2019 Erfolge feierte. Zunächst setzt Schmidt-Rahmer Bertolt Brechts Stück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe oder Reich und reich gesellt sich gern“, das ursprünglich bereits für die Spielzeit 2019/2020 geplant war, in Szene. Brechts bissig-böses und zugleich unterhaltsames „Greuelmärchen“ aus dem Jahr 1936 spiegelt Aufstieg, Herrschaft und Machtmechanismen des Hitlerregimes und von Diktaturen im Allgemeinen wider und zeigt eindrücklich, dass sich hinter fremdenfeindlichen, ausgrenzenden und menschenverachtenden Strukturen kapitalistische Strategien und wirtschaftliche Überlegungen verbergen. Das Stück wird im Grillo-Theater erstmals am 10. September 2021 zu sehen sein.
Nur eine Woche später, am 17. September 2021, feiert „Früchte des Zorns“ nach John Steinbecks gleichnamigem großen Roman in der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer eine Live-Premiere im Grillo-Theater, nachdem die Inszenierung im Frühjahr 2021 zunächst als Video on Demand zu sehen war. John Steinbecks Geschichte spielt im Amerika der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts: Nach Dürre und Missernten können die Farmer Oklahomas ihre Kredite nicht mehr bedienen. Als Gerüchte aufkommen, dass in Kalifornien Erntehelfer gesucht werden, ziehen sie zu hunderttausenden heimat- und mittellos entlang der Route 66 in den vermeintlich goldenen Westen.
Am 23. Oktober 2021 kehrt hoffentlich ein Stück ins Grillo-Theater zurück, das bereits vor drei Jahren auf der Bühne und in der Weihnachtswoche 2020 als Video on Demand – während des Lockdowns – für viel Spannung und leuchtende Kinderaugen gesorgt hat: „Der Zauberer von Oz“ nach dem Kinderbuch von Lyman Frank Baum. Für Familien und Schulklassen hat Regisseurin Anne Spaeter diesen Klassiker rund um die junge Dorothy und ihre Freunde, die Vogelscheuche, den Blechmann und den Löwen ebenso farbenprächtig wie turbulent in Szene gesetzt.
Das dokumentarische Porträt „Arbeiterinnen / Pracujace kobiety“ erzählt von drei Frauengenerationen aus Arbeiterfamilien im Ruhrgebiet und in Niederschlesien und hätte bereits 2020 bei den Ruhrfestspielen Premiere feiern sollen, die coronabedingt aber abgesagt werden mussten. Im Frühjahr 2021 entstand „Arbeiterinnen“ schließlich als Film und kam bei den diesjährigen digitalen Ruhrfestspielen zur Uraufführung. Am 30. Oktober 2021 ist das berührende und intime filmische Porträt erstmals im Grillo-Theater zu sehen. Das Thema hat in dieser längeren Entstehungszeit nicht an Brisanz verloren, denn schon wenige Monate nach dem Ausbruch der Pandemie ließ sich feststellen, dass von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen diejenigen – insbesondere Frauen – betroffen sind, die in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, und dass ein erschreckend starker Backlash auf traditionelle Rollenbilder in Familien zu beobachten ist. „Arbeiterinnen / Pracujace kobiety“ ist eine deutsch-polnische Koproduktion von werkgruppe2 mit dem Schauspiel Essen, Teatr Polski – w podziemiu / Polski Theatre in the Underground und den Ruhrfestspielen Recklinghausen.
Einen Bogen vom historischen Vorgestern ins (un-)mögliche Morgen schlagen Christine Lang, Volker Lösch und Ulf Schmidt in ihrem Stück „AufRuhr“, das am 17. Dezember 2021 im Grillo-Theater uraufgeführt wird. In Anlehnung an den Ruhraufstand 1920, der schließlich von der Reichswehr brutal niedergeschlagen wurde, entwickeln sie eine Inszenierung, die mit einem großen Anteil Film in der konkreten lokalen Verortung in Essen das Universelle wie Utopische untersucht. Das Stück inszenieren wird der vielfach ausgezeichnete Regisseur Volker Lösch, der in Essen kein Unbekannter ist: Unter anderem sorgte er mit „Das Prinzip Jago“ (2016) und „Der Prinz, der Bettelknabe und das Kapital“ (2018) für Furore.
„Das achte Leben (Für Brilka)“ feiert voraussichtlich im Mai 2022 Premiere im Grillo-Theater. Die 1983 im georgischen Tbilissi geborene Autorin Nino Haratischwili verwebt in ihrem 2014 erschienenen Roman Schicksale aus sechs Generationen mit der wechselvollen Geschichte Georgiens. Dabei entwirft sie anrührende Porträts von acht außergewöhnlichen Frauen, erzählt spannungsvoll von Liebe und Verrat, Lüge und Schuld, Macht und (Familien-)Geheimnissen und zeichnet zugleich den Aufstieg wie auch den Fall des Kommunismus nach. Die Inszenierung der Bühnenfassung von Emilia Linda Heinrich, Julia Lochte und Jette Steckel übernimmt Regisseurin Elina Finkel, die in der Spielzeit 2019/2020 Marius von Mayenburgs „Der Stein“ auf die Grillo-Bühne gebracht hat.
Die erste Premiere in der Casa hätte eigentlich bereits in der Spielzeit 2020/2021 gezeigt werden sollen und wurde nun auf den 25. September 2021 verschoben: Samuel Becketts „Endspiel“. Im Mittelpunkt dieses 1957 entstandenen Stückes stehen Hamm und Clov, zwei traurige Clowns, die in ihrem Anrennen und Anspielen gegen das Unausweichliche, den (eigenen) Tod, fast beiläufig die großen Fragen zur menschlichen Existenz und zum Sinn des Lebens stellen. Regie führte Gustav Rueb, der im Grillo-Theater zuletzt „Ein großer Aufbruch“ von Magnus Vattrodt (Spielzeit 2018/2019) inszeniert hat.
Ab 24. Oktober 2021 ist „Der Mann, der eine Blume sein wollte“ nach dem Kinderbuch von Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri und Uli Krappen in der Casa zu erleben. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich traut, aus seinem Alltag auszubrechen und Neues zu wagen, um herauszufinden, wer er ist und was ihn glücklich macht. In ihrer Inszenierung verweben die Künstlerinnen und Künstler des Theaterkollektivs compagnie toit végétal Sprache, Bilder, Musik, Klänge und Geräusche zu einer Live-Film-Performance für alle ab 5 Jahren. Nach „Stromer“ ist dies das zweite Stück, das die compagnie toit végétal in der Casa zeigt. Es entsteht in Koproduktion mit Rotondes Luxemburg, dem Schauspiel Essen, der Schaubude Berlin und dem TAK Theater Liechtenstein.
Gotthold Ephraim Lessings 1779 entstandenes Theaterstück „Nathan der Weise“ ist ein vielschichtiges Plädoyer für Toleranz und (religiöses) Miteinander. Auch nach fast 250 Jahren wird der Toleranz statt Rache lebende Nathan weltweit als Vorbild herangezogen und „Nathan der Weise“ ist Schulstoff. Nach spannenden Klassikerinszenierungen wie u. a. „Die Leiden des jungen Werther“ und „Peer Gynt“ wird Regisseur Karsten Dahlem Lessings Theaterstück für ein junges Publikum ab 16 Jahren in der Casa inszenieren. Premiere ist am 18. Dezember 2021.
Regisseur Thomas Ladwig, der bereits „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer in der Casa inszenierte, setzt mit „Extrem laut und unglaublich nah“ im kommenden Frühjahr erneut ein Stück nach einem Roman des US-amerikanischen Autors in Szene. Das 2002 erschienene Buch erzählt vom neunjährigen Oskar Schell, der über den Verlust seines Vaters zutiefst verstört ist. Thomas Schell war am 11. September 2001 in den Twin Towers des World Trade Centers ums Leben gekommen. Nachdem Oskar in den Hinterlassenschaften seines Vaters einen geheimnisvollen Schlüssel entdeckt hat, macht er sich auf der Suche nach einem Türschloss, in das dieser passen könnte. Bei seiner Odyssee durch die Straßen New Yorks begegnet er vielen ungewöhnlichen Menschen und ihren Geschichten, um am Ende doch wieder auf die Spuren seines Vaters zu stoßen. – „Extrem laut und unglaublich nah“ war ursprünglich für die Spielzeit 2020/2021 geplant und feiert nun am 4. März 2022 auf der Casa-Bühne Premiere.
Auch in der nächsten Spielzeit wird Intendant Christian Tombeil die Tradition fortsetzen, Regieassistentinnen und -assistenten eine Regie anzuvertrauen. So wird Zafer Tursun im Frühjahr 2022 ein Stück inszenieren, dessen Titel noch bekannt gegeben wird.
In der Theaterpädagogik wurden in der nun zu Ende gehenden Spielzeit Formate wie Workshops oder auch Projekte der StadtEnsembles digital und online umgesetzt, um das Angebot auch unter Corona-Bedingungen aufrecht zu erhalten. Wie es in der kommenden Saison ab Herbst weitergeht, ob digital oder live vor Ort, hängt von der Entwicklung des Pandemiegeschehens ab. Das wegen Corona ausgefallene interaktive Entdeckungsformat „Look at me. Schau mich an!“ wollen Aline Bosselmann und Marguerite Windblut so bald wie möglich nachholen: Wenn es die Pandemie-Situation zulässt, wird die Mobile Produktion für Kitas buchbar sein. Für das Frühjahr 2022 ist ein ganz besonderes Projekt geplant. Kinder- und Jugendtheater und -sparten aus Stuttgart, Leipzig, Dresden, Hannover und Essen vernetzen sich und bieten gemeinsam einen dezentralen Ferienworkshop für queere Jugendliche an, der vor Ort hoffentlich jeweils auch analog stattfinden kann.
Die Reihe „Jazz in Essen“ wird fortgesetzt, wobei vier Konzerte aus den vergangenen Spielzeiten, die abgesagt werden mussten, nun nachgeholt werden sollen und zwei weitere, neue Konzerte geplant sind, u. a. das Preisträgerkonzert mit dem Essener John-Dennis Renken, der in diesem Jahr mit dem „Jazz Pott“ ausgezeichneten wird.
Informationen zum Kartenkauf
Ab 23. Juni sind die Termine bis Ende September 2021 online veröffentlicht, und es besteht die Möglichkeit, Einzeltickets zunächst unverbindlich vorzubestellen. Hierzu steht ein Formular zur Verfügung, das an den Vorverkaufsstellen der TUP erhältlich ist oder auf der TUP-Website (www.theater-essen.de) heruntergeladen werden kann. Eine Bearbeitung der Vorbestellungen ist ab Mitte Juli vorgesehen. Der allgemeine Kartenvorverkauf startet voraussichtlich Anfang August.
Christian Tombeil (Foto: Ralph Lueger)